Ausstellung
Edith Klingenberg
Geboren 1919 in Liebwalde. Eine zarte kleine Frau, die mit ihrer Lebendigkeit beeindruckt und gleich vorführt, wie sie sich mit Morgengymnastik fithält. Sie hat viel zu erzählen und tut es auch gern.
Audioaufnahme
Worüber haben sie heute schon gelacht?
Über jede nette Geste, wenn man mich angerufen oder einfach mit mir gesprochen hat. Ich habe so viele nette Menschen hier in meinem Umfeld.
Ich habe früher in der Sonnenstraße ein Haus gehabt, mit einem großen Balkon und neun Zimmern. Ich war sozusagen die Schlossherrin! Wir haben es sehr gut gehabt, aber dann war Krieg, und nach dem Krieg haben wir alles verloren.
Mein Vater hatte Mitleid mit dem Vieh, das noch im Stall angebunden war, und ging los, um die Tiere zu holen. Er sagte zu meiner Mutter, am Abend wäre er wieder da – aber der Abend kam, er nicht. Wahrscheinlich wollte er abends wieder vom Stall nach Hause zu seiner Frau, und dann haben sie ihn erschossen. Wir haben ihn nie wieder gesehen.
Wie alt waren Sie da?
Da war ich grade zwölf ... Tja.
Was brauchen Sie, um zufrieden zu sein?
Nur meinen Glauben, denn ich bin so erzogen worden.
Meine Mutter sagte: „Zuerst wirst du jetzt dein Gebet im Bett sprechen, und wenn du aufgestanden bist stellst du dich vor dein Bett und sprichst nochmal zum lieben Gott. Und dann geht er mit dir, früher nicht.“
So war das! So war das wirklich! Wir sind so erzogen worden und wir waren immer glücklich.
Meine Familie ist auch christlich.
Ja, und wir sind auch mit meinem Sohn ziemlich glücklich.
Ich habe - oder hatte zwei Söhne und auch zwei Männer. Der eine ist in Italien vermisst. Ich war in Ostpreußen, da kam mein Brief zurück mit der Zeile „Empfänger vermisst“.
Ich habe nie wieder was von ihm gehört, vom Vater von meinem Ältesten. Hans Ciechiewitz, ich habe noch ein Foto von ihm. Meine Söhne sind immer ohne Vater aufgewachsen, und die Mutter war Mutter und Vater zugleich, und das habe ich gut gemacht. Mein Sohn wird jetzt bald 67.
Woran erinnern Sie sich am liebsten?
Am liebsten erinnere ich mich an meine kurze Ehe. Mein einer Mann, der war ja vermisst. Aber der andere, den ich danach geheiratet habe, der war in – jetzt fällt es mir wieder nicht ein – in Amerika! Der hat als junger Bursche in Potsdam im großen Hotel gelernt, da war er grade 16 Jahre alt. Als er fertig war, hat ihm ein Freund geschrieben, er sei gerade mit einem kleinen Auto in Amerika unterwegs und er soll doch herkommen. Und das hat er gemacht.
Als der Krieg zu Ende war, haben die Amerikaner zu ihm gesagt, er sei ja kein Deutscher mehr, er lebt ja seit 29 Jahren in Amerika. „Nein“, hat er gesagt, „ich bin kein Amerikaner“. Dann muss er ausreisen, haben sie gesagt, und dann ist er wieder nach Berlin zu seiner Mutter gezogen.
Als wir uns kennen gelernt haben, habe ich in einem Café gearbeitet, ich musste ja auch was machen. Meinen ältesten Sohn haben meine Nachbarn alle mitbetreut, und ich habe nachts gearbeitet.
Dann haben wir mit meinem Mann 16 sehr schöne Jahre verbracht, und dann ist er gestorben. Sechzehn Jahre sind ja nicht ewig, ich war 46 Jahre allein.
Glauben Sie, dass die Kindheit heute anders ist als früher?
Die Kindheit nicht, aber das Leben ist ganz anders.
In Ostpreußen war schon vieles anders in der Kindheit, wir hatten unsere Vorschriften und mussten sie einhalten – also hören und gehorchen mussten wir doch ein bisschen.
Während ich heute meinem Sohn große Freiheiten lasse. Tja. Ich meine, der lebt auch nur einmal.
Was ist Ihre Botschaft an die Jugend?
Ich würde der Jugend sagen, sie sollen nicht nur arbeiten und denken, sondern auch das machen, was sie gerne machen. Man muss sagen „Ich will!“
Mein Mann und Ich haben auch so gelebt. Eine Freundin und ein Bekannter haben auch in einem kleinen Hotel gearbeitet, und abends sind wir dann öfter mal ausgegangen und haben uns abgelenkt.
Denn nur Arbeiten – damals war ich ja noch ganz jung. Ich wollte auch ab und zu mit meinem Sohn zusammen sein, aber manchmal auch allein, das war schon schön.
Was ist Ihnen heute in Ihrem Leben wichtig?
Der Glaube. Auch heute, da lüge ich nicht. Der liebe Gott guckt mich an.
Liebe und nette Menschen und so weiter ist auch schön. Aber ob die dir nur in die Augen gucken wollen oder es auch ehrlich können, das ist die Frage. Man muss so reden, wie man denkt, und nicht so tun als ob.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich dann wünschen?
Einen schnellen Tod. Der liebe Gott hat mir so viel in meinem Leben geholfen. Alles, was ich durchgemacht habe, die Flucht von Königsberg nach Berlin, sechs Stunden im Zug, ich war die Einzige die sitzen durfte, weil ich mit meinem Sohn schwanger war. Als ich in Berlin ankam, hatte ich nichts außer einer Handtasche.
Ihr Tipp für ein langes Leben – Naja, wie sind Sie so alt geworden?
Der Glaube, nehme ich an. Der liebe Gott hat mir hundertmal geholfen. Auch als mein ältester Sohn dann starb, da wollte ich nicht mehr, da wollte ich fast ins Wasser gehen. Mein Bruder ließ mich mal im Wasser tauchen, zehn Minuten, und als er mich wieder hochgeholt hat, war ich fast tot.
Da habe ich mir gewünscht, wenn ich mal wirklich … – dann schnell. Nicht warten oder nochmal ins Krankenhaus. Das Einreiben hilft immer nur kurz. Aber ich habe so eine Salbe da, ich habe ja auch Krampfadern. Aber als Mädchen hatte ich sehr schöne Beine, jemand hat sogar mal meine Beine fotografiert!
Wenn Ihr mal wieder kommt, können wir uns Fotos von Ostpreußen angucken. Da hab ich sogar mal auf einer Gulaschkanone gesessen!
Hatten sie früher, als sie noch klein waren, ein Haustier?
Naja, wir hatten nicht nur eins! Ich hatte einen Hund, der hieß Prinz. Der wurde tagsüber auf dem Hof angebunden, und wenn ich ihn abends gerufen habe *pfeift* , dann kam er an.
Erinnern Sie sich gern daran, was Sie in Ihrer Kindheit gespielt haben?
Der Prinz war mein bester Spielfreund. Der kam immer und setzte sich auf die Stufen, und nur wenn ich gesagt habe „Prinz, komm rein!“, dann kam er rein. Der war so freudig, ja, der spürte auch in welchem Ton ich mit ihm geredet habe.