Ein besonderer Tag: Schwester Erika Forths 90. Geburtstag

Ein Diakonissenleben für und auf Hermannswerder

Es war uns eine Freude, zu einem besonderen Fest einladen zu dürfen: Am 1. Oktober wurde unsere beliebte und über die Insel hinaus bekannte Schwester Erika Forth 90 Jahre alt.
Diesen Ehrentag feierten wir dankbar an ihrem Geburtstag mit einer Andacht in der Inselkirche und anschließend im Hoffbauer Tagungshaus mit Schwester Erikas Familie, Freunden und Wegbegleitern.

Mit Schwester Erika und ihren Gratulanten freute sich auch Generalsuperintendent i.R. Hans-Ulrich Schulz, der die Laudatio auf unsere Jubilarin hielt und über viele Jahre als Kuratoriumsvorsitzender der Hoffbauer-Stiftung Kontakt mit den Diakonissen pflegte. - Ein herzliches "Viel Glück und viel Segen", liebe Schwester Erika.

Alle kennen Schwester Erika und kaum jemand kennt die Insel Hermannswerder so gut wie sie. Inzwischen wohnt sie in der Seniorenpflege auf Hermannswerder, und wenn es das Wetter zulässt, kann man ihr auf der Bank vor dem ehmaligen Mutterhaus begegnen. Auf die Frage, wie es ihr denn ginge, antwortet sie stets "Mir geht es gut, ich bin zufrieden."

Einblicke in ihr Leben ermöglichte sie schon in der Hoffbauer-Chronik:

Wo einen der Wind hinbringt – ein Diakonissenleben auf Hermannswerder

Erika Forth, * 01.10.1932

"Schwester Irma und ich – wir waren immer die Jüngsten. Beide sind wir am 1. März 1949 auf Hermannswerder angekommen. Ich war 16, Irma 26. Der Krieg hatte uns Bescheidenheit gelehrt, die Erwartungen waren auf das Notwendigste gerichtet: ein Zuhause, Frieden und genug zu essen. Letzteres war aber enttäuschend. Auf Hermannswerder war die Versorgung schlechter als auf dem Land, von wo ich herkam. Im Vergleich zur Landwirtschaft in Doberlug-Kirchhain war das Essen ärmlich: Brennesseln und Brotsuppe gab es ständig, pro Woche ein Brot und ein Glas Marmelade. Einmal war die Suppe angebrannt, da zwang uns Oberin von Zedlitz sie trotzdem zu essen. Zum Hunger kam die Kälte; Holz und Kohlen reichten nur, um das Mutterhaus zu heizen. Zu tun gab es dagegen genug. Wege mussten von Schutt geräumt werden, Kirche und Mutterhaus wurden instand gesetzt, Beete wurden angelegt. Trotzdem war man zufrieden, erfreute sich in der Gemeinschaft an kleinen Dingen.

Bis zu meinem 18. Geburtstag war ich Schülerin und lebte im Waisenhaus unter der Obhut von „Tante Hanna“. Schwester Johanna Ehrenhardt war meine Probemeisterin, sie betreute die Jungschwestern und war trotz ihrer Strenge sehr beliebt. Mir war sie stets ein großes Vorbild.

Im ersten Jahr half ich in der Küche – und das obwohl Nähstube und Küche immer die schlimmsten Aufgaben für mich waren. Hätte man mir damals gesagt, dass ich später einmal mit Freude die Küche leiten sollte, ich hätte es nicht geglaubt. Der Zeit als Probeschwester folgten fünf Jahre als Novizin. Erst nach dieser Bewährungszeit wurde ich am 3. Mai 1959 eingesegnet. Bis dahin hatte ich vor allem in Krankenhäusern auf Hermannswerder und in Herzberg geholfen. Im April 1954 begann ich eine Krankenpflege-Ausbildung in Genthin. Am 23. März 1956 machte ich mein  Examen und arbeitete von da an bis 1971 im Krankenhaus auf Hermannswerder. Rückblickend war diese Zeit die schönste.  Zum Wochenschluss gab es eine Andacht und geistliche Lieder, auf allen vier Stationen wurde gesungen. Das tat den Kranken und uns Schwestern als Gemeinschaft gut.

Wir waren eine große Schwesternschaft mit ungefähr 200 Schwestern aus Grünberg und Hermannswerder. Unser Tagesablauf war geregelt, unser Leben auf der Insel war ruhig und beschaulich. Unsere Arbeitsbereiche waren vielfältig: Wäscherei, Gärtnerei, Kranken- und Kinderpflege, Telefonzentrale oder Landwirtschaft.

Im Krankenhaus sahen wir viel Elend, wurden aber als Diakonissen geachtet und mussten nicht im Schichtbetrieb arbeiten. An hohen Festen begann der Tag frühmorgens schon um 4.30 Uhr mit Kaffee trinken, dann wurde in allen Häusern gesungen. Das fiel uns wohl schwer, aber es machte unsere Gemeinschaft stark. Die klaren Strukturen der Gemeinschaft waren auch von Vorteil: wir waren versorgt und nach der Arbeit hatte man frei, also keinen Haushalt. Kochen, Putzen, Waschen wurde von den anderen erledigt. - Ich habe große Achtung vor den Müttern, die alle diese Aufgaben, die Betreuung ihrer Kinder und ihre berufliche Tätigkeit bewältigen müssen!

Zu DDR-Zeiten konzentrierten wir Schwestern uns auf unsere Arbeit, mit den russischen Soldaten hatten wir ein gutes Verhältnis. Auch hier war das Miteinander und gegenseitige Hilfe wichtig.

1971 dann wurde ich gebeten, Schwester Frieda Klaffer in der Küche zu helfen. Ungern verließ ich das Krankenhaus, um in Leipzig und Magdeburg in Großküchen und im Ernährungsinstitut in Rehbrücke zu hospitieren, bevor ich ganz im Küchendienst arbeiten sollte. Doch nach einigen Wochen Hospitation im St. Josefskrankenhaus hatte ich richtig Freude an der Küche und im November 1974 übernahm ich die Verantwortung für den Küchenbereich. Es war eine gute, aber körperlich anstrengende Arbeit. Zu fünft kochten wir für 200 Menschen, um 12 Uhr aßen die Handwerker, um 12.30 Uhr die Schwestern aus dem Krankenhaus, ab 13 Uhr dann die anderen. Auch war es nicht immer einfach, mit dem, was vorhanden war, abwechslungsreich zu kochen. Unangenehm in Erinnerung ist mir ein Tag, an dem es Bratwurst gab. Die gelieferten Würste schmeckten sonderbar, man hielt sie für verdorben und die Küche musste für 200 Esser ein Mittagsmahl improvisieren. Tatsächlich waren die Würste aber nur mit einem Gewürz zubereitet, das man – damals – nicht kannte.

Die sich verändernde politische Situation nahmen wir auch auf Hermannswerder wahr.  Zwar lebten wir auf einer Insel und in einer kirchlichen Gemeinschaft, deshalb waren wir aber nicht abgeschottet. Ausflüge in die Innenstadt, Konzert- und Theaterbesuche oder Spaziergänge unternahmen wir gern in kleinen Runden. Auch verreisten wir gern und: wir hatten Radio und Fernsehen!

Die größte Veränderung aber brachte das Alter mit sich. Immer mehr Schwestern gingen in Ruhestand, einige verließen die Gemeinschaft, viele wurden alt und starben. Inzwischen waren wir alle im Feierabendhaus zusammengerückt. Es fehlte der Nachwuchs. Die Zeiten hatten sich geändert. Aber, so glaube ich, Diakonie geht dennoch weiter. Diakonie heißt doch: Helfen, Begleiten, an andere denken. Keine Tracht zu tragen, bedeutet ja nicht, keine Diakonisse zu sein: Helfen braucht keine Arbeitstracht!

Ich kann auf eine schöne Zeit der Gemeinschaft zurückblicken. Ich blieb die Jüngste, erlebte die Verschiedenheit der Menschen für die es wichtig war, dass die Oberin gut führen konnte. Denn Gehorsam war Teil unseres Auftrags und nicht immer war das Verlangte mit den eigenen Vorstellungen vereinbar. Hierarchie war immer spürbar, auch untereinander. Aber wir hatten gelernt, Dinge zu ertragen, die man nicht ändern kann.

Die schwere Küchenarbeit hatte auch mir zugesetzt. Im Juli 1988 wurde ich in der Küche abgelöst und war von da an Hausmutter im Schwesternhaus. Mit 60 Jahren zwang mich meine Gesundheit in den Ruhestand. Eine Aufgabe hatte ich trotzdem immer, oder besser viele: in der Kirche, im Gemeinderaum,  in den Gästezimmern,  und im Feierabendhaus in unserer nun sehr klein gewordenen Schwesternschaft.

Und dann machten Schwester Irma und ich tatsächlich das Licht aus. Als letzte zogen wir beide aus dem zu groß gewordenen Feierabendhaus aus. Mit 80 Jahren bezog ich meine erste eigene Wohnung, hatte mein erstes Bankkonto und musste lernen, was GEZ-Gebühren sind. Seitdem erfreue ich mich meiner Eigenständigkeit und genieße die neue Hausgemeinschaft, die meine Familie ist, genauso wie Hermannswerder meine Heimat.

Ob ich etwas vermisse in meinem Leben? Ja, meine Hobbies, den Rosengarten und Radfahren. Zu gern würde ich mich wie früher nach einem anstrengenden Tag in der Küche bei einer Fahrt über die Insel „freigondeln“.