Gebende Hände und ein weites Herz

Sie führt ein Leben im Dienst des Glaubens und der Fürsorge, ehelos und ohne Besitz. Als letzte Oberin der Mutterhausdiakonie Hermannswerder verstirbt sie am 31.12.2012 mit 96 Jahren.

  • 1916 geboren in Fraustadt/Schlesien – 2012 gestorben auf Hermannswerder
  • 1934 Eintritt als Schwesternschülerin in das Mutterhaus Bethesda in Grünberg/Schlesien
  • 1941 Einsegnung als Diakonisse, als Krankenschwester in Gemeinden und Krankenhäusern tätig
  • 1945 im Februar Flucht mit 300 Schwestern vor der zusammenbrechenden Kriegsfront nach Leipzig
  • 1948 Ankunft auf Hermannswerder mit Zusammenschluss der beiden Mutterhäuser
  • 1950 - 1964 Stationsschwester im Städtischen Krankenhaus auf der Insel
  • 1964 Ernennung zur Oberin des Mutterhauses Bethesda-Hermannswerder
  • 1993 Ruhestand

„Über mein Leben gibt es nichts zu berichten“, so die immer gleichlautende Antwort auf die zahlreichen Fragen zu ihrer Geschichte. Bescheidenheit, Demut, das sind Eigenschaften, die die Haltung von Siegtraut Linkekennzeichnen. Ihr tiefer Glaube leitet sie durch ein langes Leben: „Ich habe jeden Tag Gottes Gnade, Güte und Barmherzigkeit erfahren.“

Als sechstes Kind eines schlesischen Gutsbesitzers geboren, macht sie nach dem Besuch einer Mädchenschule bei den Diakonissen des benachbarten Grünberg eine Ausbildung zur Kinderschwester. Mit 18 Jahren tritt sie in das Mutterhaus Bethesda ein. 1941 erhält sie ihre Einsegnung als Diakonisse.Bis 1945 arbeitet sie dort in der Krankenpflege.

In der zusammenbrechenden Kriegsfront werden sie evakuiert. Müssen alle und alles zurücklassen. Bei bitterer Kälte im Flüchtlingstreck gen Westen. Einer unsicheren Zukunft entgegen. Zunächst bei den Mutterhäusern in Dresden und Leipzig untergekommen, findet sie mit ihren Grünberger Schwestern eine neue Heimat in Hermannswerder. Und eine neue Aufgabe in der Krankenpflege am städtischen Inselkrankenhaus.

Die Genossen dort erkennen schnell, dass die „frommen Schwestern“ nicht nur beten, sondern auch sehr gut arbeiten.  Warum sie denn nur für ein Taschengeld arbeite, wird sie gefragt. Ihre Gegenfrage: „Sind Sie verheiratet? Ja. – Und arbeitet ihre Frau? Ja. – Und abends muss sie kochen und die Wäsche machen? Ja. – Sehen Sie! Und wir haben eine Wäscherei, in die ich meine Wäsche gebe. Wir haben ein Esszimmer, da steck ich meine Füße unter den gedeckten Tisch. Ich habe sehr viele Vorteile, weil ich niemanden zu versorgen habe. Ich bin frei für den Dienst!“ Vom Krankenhauschef soll ihr sogar ein Orden verliehen werden, den lehnt sie aber ab, trotz Intervention von hoher Stelle. Bescheidenheit zeichnet sie eben aus.

Als sie 1964 Oberin wird, verfolgt sie ein existenzielles Anliegen: Die alternde Schwesternschaft hat ein Nachwuchsproblem und muss attraktivere Rahmenbedingungen bieten können. Die durchaus entbehrungsreichen persönlichen Lebensumstände im historischen Mutterhaus sind nicht mehr zeitgemäß. Schön wäre ein neues Wohnhaus.

Angesichts des Mauerbaus und der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR ein wahrlich visionäres Projekt. Hohe bürokratische Hürden für die Kirche, politisches Desinteresse und erhebliche Material- und Arbeitsengpässe. Die finanzielle Unterstützung aus Westdeutschland, an der in Form von Devisen auch der SED-Staat profitiert, macht es möglich. Der Schwesternpavillon mit 12 Zimmern wird im Oktober 1965 begonnen.

Wie erwartet wird der Bau ein zähes Unterfangen. Immer wieder kann kein Material geliefert werden oder die Baubrigade ist woanders beschäftigt. Doch Oberin Siegtraut Linke weiß sich zu helfen und nutzt ihre guten Verbindungen zur sowjetischen Inselspitzenmannschaft. Der eine oder andere Subotnik der Soldaten bringt nicht nur das Projekt weiter voran, sondern unterstützt die Schwestern auch bei der Gartenarbeit und beim Kohlenschippen.

Trotz Neubau ist noch immer zu wenig Platz für die vielen alten Schwestern, die kreuz und quer in anderen Einrichtungen untergebracht sind. Oftmals arbeiten sie noch weit über ihre Altersgrenze hinaus, weil kein Platz im Feierabendhaus ist. Von den 111 Diakonissen sind 1973 knapp die Hälfte im Feierabend. Der größte Wunsch der Oberin ist es, sie alle heim zu holen.

In der Erkenntnis, dass „eine eigene Ausbildungsstätte unerlässlich“ ist, unterstützt sie in den siebziger Jahren nicht nur den Aufbau des geriatrischen Rehabilitationsseminars auf der Insel. Sie betrachtet auch das brachliegende Feld der Altenpflege als aussichtsreiche Zukunftsperspektive und neue Herausforderung für die Mutterhausdiakonie.Mit der Eröffnung des Altenpflegeheims 1984 eröffnet die weitsichtige Oberin der schwindenden Schwesternschaft noch ein letztes Tätigkeitsfeld.

Über dreißig Jahre prägt Siegtraut Linke Leben und Arbeit ihrer Schwesternschaft und sagt: „Ich bin ein ganz lebensbewusster Mensch. Ich wollte anderen helfen und das gefiel mir. Die Liebe, die in mir steckt, die kann ich anderen weitergeben.“

Mit viel Weitsicht, Klugheit und Humor leitet sie das Mutterhaus fast drei Dekaden. Dabei ist sie für viele Menschen und ihre Schwestern mit Rat, Unvoreingenommenheit und Diskretion eine wichtige Inselinstitution. Vor allem Brandenburgs erster Ministerpräsident Manfred Stolpe, der vor der friedlichen Revolution 1989 zahlreiche vertrauliche Begegnungen und Konferenzen auf der abgelegenen Insel organisiert, weiß das zu schätzen. Als eine der letzten Diakonissen geht sie 1993 im Feierabendhaus in den Ruhestand. Mit fast 96 Jahren stirbt sie an Silvester 2012 im Feierabendhaus auf Hermannswerder.